SAMSTAG 22 JANUAR 2022
Wir haben schon mehrfach vom strengen Wachplan geschrieben. Nun möchten wir gerne die Frage beantworten, wie eine Nachtwache abläuft. Aufmerksame LeserInnen werden feststellen, dass die hier beschriebene Wache bereits vor zwei Tagen stattgefunden hat:
Heute haben wir Wache von neun Uhr bis Mitternacht. Beim gemeinsamen Abendessen um zwanzig Uhr ist der Abendhimmel noch wunderbar weissgelb (ein Vorbote der Karibik), um neun Uhr ist es aber bereits stockdunkel. Wir sind auf einem stark räumlichen Kurs unterwegs. Der Wind weht aus Nordost mit 15-19 Knoten Stärke und wechselt im Fünfminutentakt um über 30 Grad. Rechter Wellengang, ein Mix aus Windwellen und schräg dazu verlaufendem Atlantikschwell.
Leicht angespannt übernehmen wir das Ruder, donnern wir doch mit 7-9 Knoten in die schwarze Nacht hinein. Bei diesen schwierigen Bedingungen muss von Hand gesteuert werden. Schade, hätten wir das Steuern doch gerne dem Autopiloten überlassen und uns die Zeit mit Plaudern und Sternekucken um die Ohren geschlagen.
Aufgrund einer dichten Wolkenbank können wir keinen Stern als Referenzpunkt nehmen, sondern müssen wir nach Kompasskurs und Windrichtung zum Schiff steuern. Das ist recht knifflig und braucht äußerste Konzentration. Eine kurze Ablenkung, zum Beispiel durch einen Blick auf die Karte, und schon ist man dreissig Grad weg vom Kurs. Rollt nun noch ein grosse Welle an, dann schlagen das Gross- und Vorsegel mit ohrenbetäubendem Knall, insbesondere in den Ohren des Skippers, der nun sicher gleich im Niedergang auftaucht und uns zu vorsichtigerem Steuern ermahnt. Recht hat er, zermürbt doch ständiges Schlagen auch das stärkste Rigg. Dennoch fühlen wir uns alle leicht gestresst, denn wer mag schon gerne Kritik. Und lassen auch leichte innere Schadenfreude zu, wenn es dann beim erfahrenen Capitano auch mal knallt
Heute Abend sind wir zusätzlich angespannt, haben wir doch vom schlimmen Unfall unserer Mitsegler auf der “Brainstorm” erfahren. Das sind vier sehr sympathische und aufgeschlossene holländische Jungs, mit denen wir in Gran Canaria geplaudert haben und die uns geholfen haben, das reparierte Segel an Bord zu hieven. Zudem auch talentierte Segler, die trotz verspätetem Start in Gran Canaria rasch in die Spitzengruppe vorgesegelt sind.
Was ist da wohl passiert? Einfach so bricht ein Ruderkasten ja nicht auseinander. Hatten sie das unfassbare Pech, auf ein treibendes Holzstück zu treffen? Oder auf den berüchtigten Container im Ozean, wie in Robert Redfords Film “All is lost”? Unser belesener Kapitän weiss jedoch zu berichten, das dieser oft zitierte Unfall da draussen auf dem unendlich grossen Meer praktisch nie vorkommt.
Wir alle an Bord sind sehr bedrückt über das schlimme Unglück. Wir sind sehr froh, dass sie anscheinend recht rasch aus ihrer misslichen Lage gerettet werden konnten! Per Mailasail schreiben wir ihnen und ihren Rettern auf “Whats next” und “Rapsody VI” eine Nachricht per Email, zusätzlich ergänzt mit ein paar aufmunternden Worten auf Holländisch.
Zurück in die dunkle Nacht um uns herum. Ja, auf kurze Distanz gesehen fährt man recht blind in die Nacht hinein. Auch ein noch so wachsamer Blick kann treibende und nicht markierte Objekte im Wasser nicht erkennen. Dennoch blicken wir noch häufiger als sonst nach vorne…
Umso besser können wir andere Schiffe erkennen. Wir halten Ausschau nach Positionslichtern und suchen nach Radarechos auf der elektronischen Navigationskarte. Super hilfreich ist auch das sogenannte AIS (Automated Information System), bei dem alle Schiffe im Umkreis von 30-40 Seemeilen ihre Position, Geschwindigkeit, Richtung und einige weitere Informationen gegenseitig austauschen. Man erfährt, ob ein Fischer vor uns seine Netze auslegt, ob wir mit einem Supertanker auf Kollisionskurs liegen oder wie die vorauseilende Segelyacht heisst.
Nach einer guten Stunde wird es spannend! Nachdem wir nun tagelang kein einziges Schiff gesichtet haben, liegt seit heute früh die Mitseglerin “Standra” vor uns. Eine Yacht unter Schweizer Flagge, mit einer russisch-frankophonen Crew. Katja hat bereits mit ihr gefunkt und auf Französisch über äquatoriale Strömungen und die Wettervorhersage gefachsimpelt. Gerne möchten wir Standra während unserer Wache einholen. Wir passen unseren Kurs an, um stolz aber mit gebührlichem Abstand von einer Seemeile an ihr vorbeizusegeln. Doch leider rechnet das AIS aus, dass diese Ehre erst der uns folgenden Hundewache zusteht.
Und nun, was passiert denn da? Unvermittelt taucht im AIS ein Frachter auf; auf Kollisionskurs mit Standra und uns. Allerdings erst in eineinhalb Stunden. Doch bereits jetzt überlegen wir uns, wie wir am Frachter vorbeisegeln wollen. Als Segler haben wir zwar Vortritt, aber ob das der Steuermann auf dem Frachter auch so sieht? Zu unserem Glück ja, denn knapp eine Stunde vor unserem Zusammentreffen ändert er seinen Kurs deutlich. Das ist sehr zuvorkommend; oder will er einfach nichts mit uns zu tun haben?
Die letzte Stunde beschert uns einen wunderschönen Abschluss. Wind und Wellen legen sich etwas, sodass wir leicht erschöpft den Autopiloten einschalten. Endlich Zeit für einen Tee, für ein Gespräch und für den Blick auf den wunderschönen Sternenhimmel. Bekannte Konstellationen wie Orion stehen schon lange stolz am Himmel, nur das für uns neue und schöne “Kreuz des Südens” geht erst später auf.
Und ganz zum Abschluss noch eine prächtige Sternschnuppe. Wer’s glaubt wird selig.